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frappieren swV. 'in Erstaunen versetzen, befremden', sondersprachl. Im 18. Jh. entlehnt aus frz. frapper (wörtlich: 'schlagen'), aus frk. *hrapon 'raufen, raffen', zu ahd. *raffon (dass.). Die Bedeutungsentwicklung hin zu 'entfremden' wohl auf Basis des Überraschungseffektes eines plötzlichen Schlages (vgl. ne. striking).

Dienstag, 24. Dezember 2002


Spurensuche im Taunus

Die unbestechliche Erinnerungskraft meines elektronischen Kalenders erinnert mich an den Geburtstag meiner ehemaligen Freundin. Es ist Freitag, früher Abend. Auf meinen Anruf hin erhalte ich die spontane Einladung, zu ihrer kleinen Feier vorbeizukommen. Schnell noch überzähligen CD-Doppelkauf in farbenfrohes Zeitungspapier eingeschlagen, fahre ich mit gebührender Verzögerung los, um die Peinlichkeit des Ersterscheinens zu vermeiden. Die leichte Angst davor, in den Minuten des Wartens auf nächste Gäste seinen ganzen unverfänglichen Erzählvorrat zu verbrauchen. Seit dem Auseinandergehen gab es nur seltene, unverbindliche Telefonate. An der ersten Ampel wartend, denke ich mir Dialoge aus. «Und, wie geht's Dir?» «Gut geht's. Und Dir?» «Auch. Und sonst?» «Sonst? Alles fein.». Viel weiter komme ich in meiner Vorstellung nicht. Ich fahre noch eine Extrarunde, da ich denke, mein Handy vergessen zu haben. Nicht, dass ich dringende Anrufe erwarte. Und wieder vergehen zehn Minuten. In der Wohnung stelle ich fest, dass sich das Handy nur unüblicherweise in der rechten Innentasche meiner Jacke befindet.

Die Intervallschaltung der Scheibenwischer schlägt den Takt für die kurze Fahrt in den Vordertaunus, vorbei an Schlosshotels und Golfplätzen. Vor einem halben Jahr bin ich die Strecke recht häufig gefahren. Aber noch nie bei solch neblig nassem Winterwetter. Ich nutze die schlechte Sicht für ein vorzeitiges Abbiegen und kurzes Verfahren in einer Tempo 30-Zone. Wenden, zurück und kurze Zeit später erreiche ich mein Ziel am Waldrand. Bei der Parkplatzsuche offenbart sich die Asphaltoberfläche angeeist. Vorsichtig stakse ich über den Bürgersteig zum Haus. Klingeln, neunter Stock. Die Bauarbeiten des Frühjahrs mit den spanplattenverkleideten Aufzügen scheinen beendet. In der Tür am Ende des Flurs steht I*******, belustigt, stirnrunzelnd. Bevor ich gratulieren kann, äußert sie sich verwundert über meine Haarlänge. Ein halbes Jahr ist eine ausreichend lange Zeit.

Ich bin der vierte Gast. Die Zahl gibt genügend Rückhalt, aber sie sprechen fast nur französisch. Um Integration bemüht, stellt mich I******* ihrer bilingualen Schwester vor. Als "Bekanntschaft". Ich suche Halt am Hals der Bierflasche. Langsam, mit ansteigender Gästezahl legt sich meine, unsere Verhaltenheit. In den Gesprächspausen ertappe ich mich dabei, wie ich die Wohnung nach Veränderungen durchmustere. Das CD-Regal von IKEA ist neu. Hing der Küchenschrank damals schon? Gekauft hatte I******* ihn jedenfalls. Deutlich sehe ich den Karton noch in der Küche stehen. Richtig, ich hatte ja noch beim Aufhängen und dem Bohren der Löcher geholfen. Und das obere Regalbrett, welches dabei aus der Verankerung gerissen worden war ist immer noch nicht wieder angebracht. Dafür hängt die Pendelzugleuchte über dem Esstisch, von mir montiert, noch. Aber sonst: Die Gartenbank steht weiterhin zerlegt auf dem Balkon, stelle ich fest, während ich eine Zigarette rauche. Verbessert die feuchtkalte Witterung das Flugverhalten glimmender Kippen? Ich schaffe es jedenfalls bis weit auf die Rasenfläche tief unter dem Balkon. Warum sollte sich sonst eigentlich viel verändert haben, in diesen wenigen Monaten? Und warum glaube ich, dass diese Phase hätte Spuren hinterlassen müssen? Bis auf das Buch, welches ich I******* damals schenkte, und die CD, die ich ihr brannte. Bei mir hat sich ja durch diese momenthaft kurzen Lebensabschnittspartnerschaft auch wenig geändert: Ich bin seitdem Besitzer einer gläsernen Teekanne. Die damals neu gekaufte Bettwäsche zählt nicht, da sie schon auf meiner Einkaufsliste stand.

Die unergiebige Suche nach Spuren meiner Vergangenheit in dieser fremd-vertrauten Wohnung gerinnt in mir zur Erkenntnis, dass dieses Jahr ein Jahr der gelungenen Trennungen war. Gelungen, denn I******* lässt mich Weinflaschen öffnen und unbekümmert von jedwedem Anflug von Hausmannspflichten wische ich Inhalte umgekippter Gläser auf. Wir flachsen miteinander, auch wenn keiner unsere Anspielungen verstehen kann. Das Auspacken des Hörbuchs mit Essais von Montaigne erinnert sie sofort an die dunkelblaue Buchausgabe, die damals in meinem Wohnzimmer lag. Beziehungen zwischen vergangenen Beziehungen nehmen manchmal merkwürdig angenehme Formen an. Halbherzig schwenke ich um von Bier auf Wasser und fahre gelöst zurück nach Frankfurt. Es ist spät geworden, und als scheute ich wieder vorzeitiges Eintreffen, verfahre ich mich wieder. Die Ankunft in der eigenen Wohnung verschiebt sich auf Vieruhrfünfundvierzig.

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